Über den Smørstabbrean nach Krossbu
Reif rieselt uns am Morgen von der Innenseite des Tarps in die Gesichter. Tatsächlich zeigt das Thermometer -4°C, obwohl es im Schlafsack gemütlich warm ist. Somit erfolgen Wasserkochen und Frühstück vom Schlafsack aus, da die Sonne unser Biwak wohl erst am Vormittag erreichen wird. Gegen 9:30 Uhr starten wir endlich, queren als erstes den Fluß und halten uns dann westlich immer bergauf in Richtung Bjørneskardet-Pass. Zunächst überwiegt noch Moos und Gras im ziemlich weglosen Gelände, bevor es dann zunehmend steiniger wird. Endlich erreichen wir auch dieRomeo mit Storebjørn Sonne, die uns die letzte Kälte des Morgens aus den Gliedern treibt. Wir kommen gut voran und erreichen schnell 1500m, wo wir kurz pausieren. Ach du Schreck! Beim Absetzen des Rucksacks stelle ich fest, das meine Kamera nicht mehr da ist. Ich muss sie beim ersten Ausziehen weiter unten vergessen haben. Während Romeo sich sehr über eine nicht geplante Pause freut, gehe ich den ganzen Weg nach unten in der Hoffnung, die Kamera dort wiederzufinden. Schnell wird mir klar, das dies in diesem unübersichtlichen Gelände nahezu aussichtslos ist.
Fast wieder am See Tverrbyttjønne angekommen, versuche ich, wieder die gleichen Aufstiegsroute zu nehmen. Es ist hoffnungslos, da es nicht eine, sondern hundert Möglichkeiten zwischen Felsblöcken, Geröll und Gras gibt. Frustriert schreibe ich die Kamera ab und stolpere -keine 5 Minuten später beim Wiederaufstieg- genau auf diese! Zufall oder doch eine unbewußt bewußte Routenwahl? Egal, erleichert steige ich mit schnellen Schritten wieder hoch zu Romeo, der die Zeit genutzt hat, die Blase an seinem Fuß zu versorgen. Nach 50 Minuten Verzögerung beeilen wir uns mit dem weiteren Aufstieg und stehen nach einer weiteren halben Stunde bei 1750m am Beginn des Bjørnebrean-Gletschers. Es ist 12:30 Uhr und bereits richtig warm, als wir mit Steigeisen und Seil endlich den Gletscher betreten. Wir halten uns immer nah am rechten Rand, um die Brüche im mittleren Teil des Gletschers zu umgehen. Direkt vom Pass erhebt sich der steile Felzzacken der Sokse, mit 2189m der dritthöchste Gipfel der Smørstabbtindan-Gruppe. Da der Gletscher fast keine Schneeauflage mehr hat, sind auch kleinere Spalten gut zu sehen, was den Aufstieg zunächst sehr vereinfacht. Allerdings führt die Route hinüber zum Storebjørn über einige große, jetzt vollkommen offene Spalten, die man recht aufwendig umgehen müßte. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit, den im oberen Teil des Gipfelanstieges jetzt wohl weichen Schnee und die zahlreichen Umgehungen aufgrund der vielen, langen Spalten, verzichten wir auf den markanten Gipfel des Storebjørn und halten stattdessen direkt auf den Pass zu. Diesen erreichen wir nach nur einer Stunde und 300Hm Gletscheraufstieg über eine große Schneebrücke, die über den Bergschrund auf das Geröll des Passes führt.
Durch die geringe Schneeauflage macht das Auffinden der Spalten keinerlei Probleme… Blick hinunter zum Tverrbyttjønne, rechts die ‚Ohren‘ des Storebjørn Wetter gut. Stimmung gut. Alles gut! Sprung über den Bergschrund direkt vor dem Pass Bjørnskardet Pause mit Blick zum Jostedalsbreen, rechts der Store Smørrstabbtinden Schneebrücke über den Bergschrund zum Leirbrean
Der bläst nun recht heftig und wir kauern uns hinter einen großen Felsblock, um Mittagspause zu machen. Die Sicht von hier oben ist ausgezeichnet. Im Norden kann man bis zum Jostedalsbreen mit der markanten Lodalskopa (2078m) schauen, während sich im Westen in nur 10km Entfernung der vergletscherte Fannaråki (2068m) erhebt. Direkt unter uns breitet sich der mächtige Leirbreen-Gletscher aus und im Tal windet sich der Sognefjellveien, immerhin die höchste Straße Nodeuropas, zur Hochebene des Sognefjellet. Auch unser heutiges Tagesziel, die Hütte Krossbu, ist bereits von hier oben zu sehen. Der Abstieg auf dem Leirbreen gestaltet sich nochmal spannend, da eine riesige Randspalte den Gletscher vom Geröll um den Pass trennt. Aber wieder haben wir Glück und finden schnell die wohl einzige Stelle weit und breit, über die eine Schneebrücke auf den Gletscher führt. Sogar eine alte Spur finden wir hier und folgen ihr in nord-westlicher Richtung entlang der Felsen des westlichen Gratausläufers des Kalven. Obwohl sich die Spur im jetzt harten Firn rasch wieder verliert, ist die Orientierung bei bester Sicht völlig problemlos. Der Leirbreen ist hier nicht besonders steil und besitzt deshalb nur wenige Spaltenzonen. Allerdings stoßen wir ab ca. 1900m auf erste Schmelzwasserbäche, die sich zunehmend tiefer ins Eis des Gletschers einarbeiten. Während das Queren dieser Bäche im Hochsommer durchaus ein Problem sein dürfte, sind diese Bäche jetzt schon wieder gefroren und dadurch recht einfach passierbar. Am Ende des Gratausläufers nahe des Punktes P1876 wenden wir uns nach Nord und queren noch mehrere dieser bis zu 2 Meter tiefen Rinnen. Wir passieren den Gletschersee zwischen P1678 und P1669 und halten uns weiter nördlich, bis der in der Karte verzeichnete Gletschersee an unserem Ausstiegspunkt ins Blickfeld rückt. Dieser ist wesentlich größer als in der Karte, was vielleicht aber nur jahrezeitbedingt ist. An dessen südlichen Ufer verlassen wir den Gletscher über schlammigen Schwemmsand, queren den Ausfluss des Sees und stehen kurz darauf wieder auf festem Boden.
Blick zurück zum Bjørnskardet mit Sokse und Veslebjørn Abstieg auf dem flachen Leirbrean-Gletscher Gletschersee unterhalb des Zusammenflusses von Bøverbrean und Leirbrean An der Gletscherzunge des Leirbrean Leirbrean mit Kniven, Geite, Sokse, Veslebjørn, Skeie und Kalven (v.l.n.r.) Abstieg nach Krossbu, der Fannaråki (2068m) im Hintergrund
Der Blick zurück ist grandios. Direkt hinter dem Leirbreen reihen sich im Halbkreis die zahlreichen Felsgipfel der Smørstabbtindane aneinander, wovon immerhin 7 die „magischen“ 2000m erreichen. Ein zunächst vager Pfad führt von hier nun immer am nördlichen Ufer des Flusses Leira entlang nach unten ins Breidsæterdalen zur Krossbu-Hütte, die wir nach nur einer Stunde erschöpft aber glücklich erreichen. Da Krossbu eine bewirtschaftete (Privat-) Hütte ist, haben wir nur die Wahl zwischen dem üblichen, 3-Gänge-Menü zum Abendbrot oder eben keinem Abendbrot. Die herben 300NOK dafür sparen wir uns dann aber doch und essen stattdessen die Reserven in unseren Rucksäcken (Fischkonserven und Wasa-Knäckebrot).
Seit unserer Abreise vor 4 Tagen kommen wir hier auch zu unserer ersten heißen Dusche.
Tagesdaten:
Strecke 12km, Aufstieg 770m, Abstieg 850m, Gesamtzeit 6:40h, Gehzeit 5:25h