Bings Gryte – Kvitekulen

Am Morgen schneit es noch immer bei leichtem Wind und unverändert schlechter Sicht. Obwohl kaum vorstellbar, ist das Barometer noch einmal um 3mbar auf unfassbare 817mbar (reduziert 967mbar) gefallen. Sollen wir etwa einen weiteren einen Tag hier rumsitzen? Wenigstens klart es ab und zu mal für ein paar Augenblicke auf, so dass wir zumindest bis zur 500m entfernten Bings Gryte sehen können. Es weht nur leichter Wind, was man damit deuten könnte, das das Tief jetzt genau über uns steht!? Die Nachttemperaturen lagen um die 0°C, wodurch der gesamte Niederschlag diesmal als Schnee herunter kam. Alles in allem  ungefähr 30cm Neuschnee! Zunächst läuft alles recht geruhsam ab, aber irgendwann am Vormittag entscheiden wir uns doch spontan zum Aufbruch, schon, um einem möglichen Lagerkoller zu entgehen…

Wir packen nahezu alles im Zelt zusammen und jacken uns komplett an, um die ekelige Zeltausgraberei und -einpackerei so schnell wie möglich hinter uns zu bringen. Das gelingt in Rekordzeit und 12:30 Uhr geht es wieder angeseilt los, bis wir nur wenige Minuten später ins tiefe Loch der Bings Gryte schauen. Wieviele Höhenmeter mögen das sein, 20m, 50m oder 100m? Unmöglich abzuschätzen bei dieser Sicht. Nur für Sekunden können wir schemenhaft die Einsenkung sowie deren seitliche Begrenzungen sehen. Wir warten längere Zeit, bis wir glauben, einen Weg über die westliche Begrenzung des Loches erkennen zu können. Kaum das wir da sind, ist dieser Weg überhaupt nicht mehr erkennbar, stattdessen geht es ziemlich steil nach unten. Wieder warten wir 10-15 Minuten bei mittlerweile wieder einsetzendem Schneefall, bis wir nun östlich einen möglichen Durchgang zu erkennen glauben. Also geht es wieder zurück zur der Stelle, wo wir schon vor einer halben Stunde standen. Wir steigen einige 10Hm ab, bis wir anscheinend wirklich auf dem Boden des an dieser Stelle scheinbar nicht so ausgeprägten Loches stehen. Immer noch leicht nordöstlich gehend,  erwische ich eine Längsspalte mit dem Skistock. Vorsicht ist jetzt angesagt. Ich mache eine Kehre nach Südwest und stelle nach kurzer Zeit fest, das es wieder leicht bergauf geht. Gut, das scheint es gewesen zu sein. Als ich kurz darauf wieder für Sekunden die wesentlich einfacher wirkende Passage auf der westlichen Seite zu sehen glaube,  winke ich innerlich nur ab. Egal, wir sind jedenfalls drüber. Nur zu gern hätte ich diese Stelle bei vernünftiger Sicht traversiert. Der Blick ist westliche Stardalen sowie ins östliche Langedalen wäre mit Sicherheit spektakulär gewesen. So war es eine elende Eierei, die uns mehr als eine Stunde Zeit gekostet hat. Es folgt ein Anstieg von 200Hm in Richtung des Nunataks Ramnane. Eine Weile lang genießen wir die gleichmäßige Steigung, froh darüber, das es endlich hindernisfrei vorwärts geht und der Körper wieder Wärme produziert. Nur die Orientierung besteht weiterhin aus dem strikten Einhalten eines zuvor auf der Karte gepeilten Kompaßkurses durch ständiges Überprüfen. Dazu kommt noch, das ich mich als Seilerster sehr auf das unmittelbar vor mir liegende Gelände konzentrieren muss. Da man dieses tatsächlich nur auf 1-2m halbwegs vernünftig einschätzen kann, starrt man fast zwanghaft auf seine eigenen Skispitzen.  Wie in Trance spult man so seine Kilometer herunter. Wenigstens muss man sich durch das Seil keine Sorgen machen, sich zu verlieren. Alex kommt mit seinen Schneeschuhen gut hinter mir als Skifahrer her, was ich so nicht erwartet hatte.  Wir erreichen eine Höhe von 1800m, halten diese  und umgehen die Gletschererhebung, deren höchster Punkt mit 1874m in der Karte eingezeichnet ist.  Sehen können wir sie nicht, nur die Hangneigung verrät, das es sie wirklich gibt. 

Als wir knapp 6 km Strecke zurückgelegt haben und uns auf dem Plateau südwestlich des Ramnane befinden, klart es mit einem Mal auf. Selbst die Sonne lässt sich für einige Minuten blicken. Die Felsinsel liegt jetzt direkt vor uns. Sofort kommt Freude auf, wenn man auf ein Ziel zusteuern kann, welches man auch sieht. Wir halten direkt auf die nordwestlichen Begrenzungsfelsen zu und steigen dann in einem weiten Bogen nach Ost auf die Schneeschulter des Nunataks, um von dort gleich wieder in die Einsattelung zwischen Ramnane und  dem nächsten Nunatak, dem Kvitekoll, abzusteigen. Auch wenn sich die Sicht inzwischen wieder verschlechert hat, kann man den 200m hohen Felsriegel des Kvitekoll meist noch sehen. Da sich in nördlicher Richtung eine steile Eiswand an die Felsen anschließt, halten wir noch für ungefähr 1,5 km einen ebenfalls nördlichen Kurs und drehen dann erneut langsam auf Ost, um die verbleibenden 140Hm zum heutigen Tagesziel anzugehen. Eine ¾ Stunde später erreichen wir das 1800m hohe Plateau zwischen Kvitekoll und Høgste Brekulen. Das Wetter ist jetzt, um 19:20 Uhr, wieder so wie am Anfang der Etappe. Es schneit bei 0°C, leichtem Wind aus Süd und schlechter Sicht. Die Neuschneemenge hier oben ist noch größer und liegt bei ungefähr 40cm.  Was für eine Sommertour!


Tagesdaten:

Strecke 14km, Aufstieg 525m, Abstieg 365m, Gesamtzeit 6:50h, Gehzeit 6:10h