Übergang ins obere Rapadalen

Keine Wetteränderung über Nacht. Es stürmt noch immer bei miserabler Sicht und nur leichten Minusgraden. Schade, für den wahrscheinlich grandiosen Blick von hier müssen wir wohl irgendwann nochmal wiederkommen. Wir werden nicht länger warten, um nicht noch in Zeitnot zu geraten. Um 10:15 Uhr verlassen wir die liebgewonnene Hütte in einem weit besseren Zustend, als wir sie vorfanden.

Die knapp 4 km hinunter bis zum Beginn des Rapadalens, des mit 45 km längsten Tales des Sarek, sind in nur 1 Stunde abgespult. Die erwarteten Probleme, die ich an der Einmündung des Guohpervágges in das 130m niedriger gelegene Rapadalen erwartet habe, bleiben aus. Nur einmal müssen wir aufpassen, als sich an einer kurzen Steilstufe des Guoherjåhka-Flusses ein 5m tiefes Schneeloch gebildet hat, in das man besser nicht hineinfahren sollte. Zu Fuß umgehen wir diese Stelle in weitem Bogen und stehen kurz darauf im U-förmigen Talgrund des jetzt beginnenden Rapadalens. Während sowohl das Guohpervágge als auch das nördlich gelegene Ruohtesvágge jeweils über eine steilere Stufe ins Rapadalen münden, breitet sich nach Südosten eine weitläufige Schwemmlandschaft aus. Im Sommer dürfte dieser Abschnitt wohl kaum begehbar sein, während er jetzt auf bretthartem Schnee und bei schwächer werdendem Rückenwind ein schnelles Vorankommen ermöglicht. Mit Beginn des Rapadalens sehen wir erstmals seit unserem Aufbruch von Kisuris wieder Bäume. Erst sind es nur vereinzelt stehende, kleine und vom Wind zerzauste Birken, aber schon nach 2 km bilden sie das erste kleinere Wäldchen. Man kann sich kaum vorstellen, welch üppigen und oft undurchdringlichen Wald sie im Sommer  bilden werden. 
Die Sonne zeigt sich erstmals wieder seit 3 Tagen hinter einem nur noch dünnen Wolkenschleier. Je weiter wir ins Rapadalen vorstoßen, desto besser wird das Wetter. Bei der Mittagsrast auf Höhe des Spökstenen, durch dessen steile Abbrüche der Sommerweg 200Hm über uns führt, sitzen wir erstmalig in der noch kalten Sonne hinter einem windgeschützen Felsen. Das Schneehuhn, das sich diesen Platz auch ausgesucht hatte, musste sich leider einen neuen Platz suchen, da es ihn nicht mit uns teilen wollte. Der markante Låddebákte mit seiner eindrucksvollen, 900m hohen Ostwand, liegt jetzt direkt vor uns. Die Gipfelkette des Álkatj auf der Westseite des Tales ist mittlerweile fast wolkenfrei. Es wird jetzt endgültig besseres Wetter.


Kurz nach der Pause treffen wir erstmals auf offenes Wasser des Flusses Ráhpajåhkå. Auf kurzen Stücken von jeweils mehreren 10m schaut der Fluß unter dem Schnee hervor, bevor er schließlich wieder unter einer meterhohen Schicht verschwindet. Der Wald reicht jetzt fast bis an den Fluß heran und macht es mehrfach nötig, die Flußseite zu wechseln, was trotz der offenen Stellen fast immer problemlos möglich ist. Wir laufen jetzt durch eine fantastische Winterlandschaft. Durch den dichter werdenden Wald ist der Schnee hier nicht hart gepresst und verweht, sondern liegt locker und flockig. Der völlig unberührte Neuschnee glitzert in der Sonne. Es herrscht völlige Stille, vom gelegentlichen Gluckern des Flußes einmal abgesehen. Die eindrucksvolle Pyramide des Kanalbergets (1937m) thront fast 1500m über uns. Ich genieße jetzt jeden Schritt und bin wirklich begeistert über das wirklich schöne Rapadalen. In Erinnerung habe ich es nicht so. Bei meiner Sommertour 2005 bestand die Durchquerung des Tales hauptsächlich aus Gestolpere durch meist dichten Birkenwald, welcher kaum einmal einen Ausblick auf Tal und umliegenden Berge zuließ. Und wenn man einmal einen solchen hatte, konnte man ihn nur kurz genießen, da man sonst von den Mücken aufgefressen worden wäre. Ganz anders jetzt. Wir laufen in der Mitte des sich verbreiternden Tales und und haben freie Sicht in alle Richtungen. Von Südwest mündet das breite Sarvesvágge in die große, hier beginnende Schwemmebene des Rapaselet ein. Durch das sich verbreiternde Tal treffen wir jetzt mehr und mehr auf Blankeis und Sastrugis, durch den Wind  stromlinienförmig geformte und meist brettharte Schneebuckel von bis zu 30cm Höhe.  Das Vorankommen wird mühsamer. Direkt gegenüber der Einmündung des Sarvesvágge suchen wir uns im  während im Süden die Bielloriehppe Gipfel langsam ins Bild rücken. Glücksgefühle. Genau so wünscht man sich im lichten Birkenwald eine ebene Stelle zum Zelten. 

Es ist erst 16:30 Uhr und so genießen wir den Luxus, das Zelt in der noch angenehm warmen Sonne aufbauen zu können. Das der Schnee im windgeschützten Wald allerdings sehr weich ist, müssen wir nach Abschnallen der Ski feststellen. Jeder Schritt läßt uns mindestens bis zu den Knien einsinken und so besteht die Hauptaufgabe heute darin, einen circa 50cm tiefen Graben rund ums Zelt und die Eingänge zu schaufeln, um sich überhaupt einigermaßen bewegen zu können.
Sobald die Sonne verschwunden ist, wird es schlagartig kalt. Schon bald funkeln die Sterne über uns und das Thermometer  sinkt unter -10°.  Trotz der Behaglichkeit in meinen beiden warmen Schlafsäcken quäle ich mich gegen 21:30 Uhr noch einmal heraus und mache einige Zeitaufnahmen von den Polarlichtern, die sich im Süden über den Gipfeln der Skårki-Gruppe zeigen. So schlecht, wie der Tag anfing, so grandios endet er jetzt!


Tagesdaten:

Strecke 19,1km, Aufstieg 35m, Abstieg 275m, Gesamtzeit 6:20h, Gehzeit 5h