Von Ritsem nach Akka
Der Morgen beginnt mit einer Schrecksekunde. Unser Gepäck, die sperrigen Pulkas und den Skisack, hatten wir in die großen Gepäckfächer des nächsten Waggons gestellt. Während die Pulkas noch da sind, ist von den Ski nichts mehr zu sehen. Nicht auch das noch! Während ich uns schon in Gällivare für viel Geld neue Ski kaufen sehe, kommt schon Entwarnung von Kay. Die Ski waren nur am anderen Ende dieses Waggons in einem Gepäckfach. Scheinbar wurde der Waggon über Nacht ausgetauscht und das zuvor herausgenommene Gepäck nicht wieder so einsortiert, wie es vorher stand. Obwohl ich nicht wirklich geglaubt habe, das hier einer Gepäck klaut, sind wir doch sehr erleichtert. Was kommt wohl als nächstes?
Nach diesem Schreck frühstücken wir erst einmal im kultigen Speisewagen, dessen Ambiente eher an den Orient Express, als den Norrlandtåget erinnert. Kurz darauf unterhalten wir uns mit einem Jenaer, den wir schon im Flugzeug gesehen haben. Er will zunächst nach Abisko und sich eventuell auch eine Pulka leihen, um dann in Richtung Süd zu gehen. Vielleicht sehen wir uns ja in Aktse.
Mit 30min Verspätung ereichen wir Gällivare, so dass wir nur eine knappe Stunde Zeit zum Einkaufen der restlichen Verpflegung und des Benzins für den Kocher haben. Während ich das Gepäck in den Warteraum schleppe, spurtet Kay mit dem ausgedruckten Stadtplan in Richtung Einkaufszentrum los. Ich sortiere derweil die schon in Stockholm gekauften Sachen und entsorge überflüssige Verpackungen. Just in time kehrt er kurz vor 10 Uhr zurück und wir schleifen die nun deutlich schwereren Pulkas zum schon bereitstehenden Bus nach Ritsem.
Es ist nur leicht unter 0°C und die Sonne scheint am wolkenlosen Himmel. Außer einer weiteren Person sind wir die einzigen im Bus. Nach recht beschaulicher Fahrt durch endlose Nadelwälder erreichen wir gegen halb zwölf Kebnats, den Haltepunkt gegenüber der großen Fjällstation Saltoluokta. Die Landschaft wird nun gebirgiger und dadurch interessanter. Die Schneemenge schätze ich so auf 50-80cm. Kurz hinter Kebnats erreichen wir die Urlaubersiedlung Vietas, das „Zentrum“ des Stora Sjöfallet Nationalparks und im Winter der Treffpunkt der Motorscootergemeinde. Nachdem wir im kleinen Laden vergeblich nach Primus Fuel fragen, füllen wir an der kleinen Tankstelle unsere 3 Benzinflaschen mit bleifreiem Super. Seltsam, warum in Schweden das Reinbenzin von Primus außer im Intersport scheinbar nicht erhältlich ist, obwohl sowohl Primus als auch Optimus einige sehr gute Benzinkocher im Programm haben…
Die restliche Strecke bis Ritsem führt am rießigen Stausee Suorvajaure entlang. Leider haben wir nicht viel davon, da wir in eine dicke Wolkenschicht einfahren. Binnen von Minuten hat sich das Wetter total gedreht. Es schneit und heftiger Wind fegt Schneefahnen über die Straße. Nur gut dass wir jetzt noch nicht raus müssen. Als wir eher als erwartet in Ritsem eintreffen, ist der ganze Wetterspuk schon wieder vorbei und die Sonne lacht uns ins Gesicht. Im kleinen Laden der Fjällstation trinken wir einen Kaffee und kaufen noch ein paar weitere Kleinigkeiten ein, bevor wir uns in einer der Übernachtungshütten umziehen und startklar machen. Als wir gegen 15 Uhr fertig sind, hat uns der nächste Schneeschauer erreicht und versaut uns einen schönen Tourstart. Egal, wir müssen ja nur quer über den Akkajaure zur ca. 11km entfernten Akkastugorna. Über eine Scooterspur sind wir schnell unten am See, der genau unterhalb der Fjällstation eine große, offene Stelle aufweist. Ein markierter Weg führt rechts am Ufer entlang nach Ánonjálmme. Da ich die Karte im Rucksack habe, schauen wir nicht nach wo das eigentlich ist. Stattdessen gehen wir zurück zur Straße und folgen dieser für ca. 2 km nach Südosten, bevor wir wieder zum See absteigen. Die in der Karte angegebenen „Ruskmarkering“, einen mit Ästen markierten Weg über den See finden wir nicht, stattdessen aber die mit Stangen markierte Absperrung der offenen Stelle. Da diese in die gleiche Richtung führt, folgen wir ihr für gut 2 km, bis sie schließlich nach Südwest abknickt. Genau so wie der in der Karte verzeichnete Weg.
Als die Stangenmarkierung schließlich nach einem weiteren Kilometer nach Nordwest abknickt, wissen wir, das wir ab jetzt selbst auf die Route achten müssen. Das Wetter ist sehr instabil. Heftige Schneeschauer mit schlechter Sicht wechseln sich mit sonnigen Abschnitten ab. Insgesamt aber nimmt der Wind aus westlichen Richtungen stetig zu. Wir treffen jetzt mehr und mehr auf durch das Ablassen von Wasser entstandenen Eisbrüche, die Höhen von durchaus 15 m erreichen können. Diese schränken die Sicht weiter ein und machen zudem einige Umwege nötig. Ein weiterer Lapsus passiert uns jetzt auch noch: wir verwechseln die Angaben für „Kurs“ und „Peilung“ am GPS und folgen so falsch eingestellten Richtungswinkeln am Kompass. Erst nach einer Stunde fällt mir dies schließlich auf. Der Wind erreicht jetzt Sturmstärke, es schneit wie wild und schließlich wird es langsam dunkel. So hatten wir uns den leichten „Eingehtag“ wirklich nicht vorgestellt. Beim Aufsetzen der Stirmlampen stellt Kay fest, das seine Lampe trotz neuer Batterien nur leicht funzelt und zum Gehen nicht taugt. Das scheint nicht unser Tag zu sein…
Endlich, gegen 19:30 Uhr können wir im Licht meiner Stirmlampe die reflektierenden Stangen des markierten Weges erkennen und können diesen sehr einfach folgen. Mit Erreichen der Bucht läßt der Sturm schlagartig nach, da wir uns scheinbar im Windschatten des westlich liegende Bergrückens Boalnotjåhkkå befinden. Wie zum Hohn klart es kurz darauf auf und wir können die ersten Sterne erkennen. Der Weg zieht sich noch eine ganze Weile, bis wir schließlich um 21 Uhr die Hütten der Akkastugorna bei vollkommen ruhigem und klaren Wetter und nur -1°C erreichen. Was für ein Tag! Der Hüttenwart Björn, der tatsächlich so aussieht wie er heißt, zeigt uns unsere Hütte und macht sofort Feuer im Ofen. Scheinbar sehen wir sehr bemitleidenswert aus. Als wir ihm unsere Geschicht erzählen, muß er leicht schmunzeln. Das Samendorf an dessen Ende die Akkahütten liegen heißt übrigens Ánonjálmme, erzählt er. Vor 6 Stunden standen wir schon einmal vor einem Schild, welches einen Scootertrack von Ritsem hierher auswies. Hätte ich in diesem Moment die Karte zur Hand gehabt, wären wir wahrscheinlich 3 Stunden früher hier gewesen. Der markierte Weg verläuft dieses Jahr also, warum auch immer, von Ritsem westlich um die offene Wasserstelle herum und nimmt dann direkt Kurs auf Akka. Schön zu wissen, zumindest fürs nächste Mal…
Statt der angedachten leichten Halbtagesetappe über einen markierten Weg war es schlußendlich eine schwere Etappe durch teils unwegsames Gelände bei stürmigem Wetter und Nullsicht.
Tagesdaten:
Strecke 17km, Aufstieg 205m, Abstieg 175m, Gesamtzeit 6h, Gehzeit 5:30h