Schneehöhle – Arentzbu
Die Nacht war nicht toll. Alle haben mehr oder weniger schlecht geschlafen. Ich selbst habe die halbe Nacht damit verbracht, alle Möglichkeiten durchzuspielen, die wir jetzt noch haben, um die Tour rechtzeitig zu beenden und unseren Rückflug in Sogndal doch noch zu erreichen. Sollten wir heute nicht bis Fast kommen, wird es nahezu unmöglich, am Donnerstag eine Straße zu erreichen… Dazu kommt, das wir schon seit Tagen im Funkloch stecken und noch nicht mal zu Hause bescheid geben könnten. Keine schönen Aussichten…
Von wenigen Pausen abgesehen, hat der Wind während der ganzen Nacht mal mehr, mal weniger Neuschnee in die Höhle geblasen, welcher sich hauptsächlich im Eingangsbereich als dicke Schicht abgelagert hat. Durch die milden Temperaturen von nur leicht unter 0°C ist der Schnee am Schlafsack und auf den Isomatten getaut und hat die Daunenfüllungen ziemlich zusammenfallen lassen. Die Rucksäcke sind komplett eingeschneit und auch die Sachen am Körper sind klamm. Gegen 5 Uhr wache ich auf und bemerke, dass sich unser Höhlendach in der Mitte abgesenkt hat. Auch das noch. Da an Schlaf sowieso nicht zu denken ist, beginne ich, den Boden etwas freizuschaufeln und das Dach etwas abzutragen, um zumindest wieder ein Sitzen zu ermöglichen. Alex steht auch auf und hilft mir. Da auch Jens und Kay wach sind, werfen wir die Kocher an, schmelzen Schnee für unsere Thermosflaschen und um etwas warmes Wasser für das Müsli zu bekommen. Wir wollen bereit sein, sofort nach Anbruch des Tages losgehen zu können, sollte die Sicht entsprechend sein. Leider ist sie das erst einmal nicht. Es schneit und die Sicht ist mal wieder bescheiden. Also warten wir, bis Alex gegen 8 Uhr etwas von blauem Himmel und Bergen in der Sonne erzählt. Und tatsächlich, während hier unten noch die Wolken stehen, scheint es weiter oben wirklich etwas aufzuklaren. Das macht Hoffnung.
Wir packen unsere nassen und schweren Schlafsäcke und Isomatten zusammen und starten gegen 8:30 Uhr zuversichtlich in den Tag. Erstes Ziel ist, wieder zurück zum gestrigen Aufstiegsweg zu kommen, um von dort aus zu entscheiden, doch noch den Weg nach Fast zu nehmen oder eben – quasi als Minimalziel – wenigstens nach Arentzbu zurückzukehren. Leider kann sich die Sonne nicht komplett durchsetzen. Aber immerhin gibt es kurze Phasen, in denen es aufreißt und wir für einige 100 Meter Sicht haben, was uns schon enorm hilft, das direkt vor uns liegende Gelände einzuschätzen. So können wir die Rinnen an den geeignetsten Punkten meist problemlos überqueren, vom Stapfen durch den tiefen Schnee einmal abgesehen.
Wir steigen ca. 100Hm auf, queren weitere Rinnen und erreichen schließlich unsere gestrige Route in der Nähe der beiden Gletscherabflüsse Kvitene. Jetzt müssen wir uns entscheiden. Entweder diesen beiden nach oben folgen zum kleinen See Fjellslitjørni, um von dort über das kleine Hochplateau beim Berg Tråneklanten auf die Sommerroute in Richtung Fast-Hütte zu treffen. Der Blick in diese Richtung fällt allerdings ernüchternd aus. Das Gelände bleibt schwierig und die Wolken haben uns mittlerweile komplett eingehüllt. Außerdem sind die Beine noch recht schwer von gestern. Somit wird uns die Entscheidung abgenommen. Wir werden zurück nach Arentzbu gehen, dort unsere Sachen trocknen und ‚Kriegsrat‘ halten. Gibt es doch noch eine Möglichkeit, morgen zu einer Straße zu gelangen?
Nachdem wir die beiden Flüsse, die merkwürdigerweise keine ausgeprägten Rinnen besitzen passiert haben, steigen wir wieder die steile Stufe zum Heimste Rausdalsvatnet herunter, wo sich inzwischen noch mehr Schnee angesammelt hat. Alex versucht, seinen Rucksack den Hang herunter zu rollen, was aber trotz der Steilheit nicht gelingt. Zu tief und weich ist der Schnee hier. Unten angekommen halten wir uns diesmal nahe des Flusses und stapfen die letzten 1,5km zurück zur Hütte. Einerseits erleichtert, wieder im leichteren Gelände und nah der Hütte zu sein, andererseits besorgt, weil jetzt die Zeit noch knapper wird, die Skitour rechtzeitig zu beenden. Wie zum Hohn, klart es kurz vor der Hütte nochmal kurz auf, was allerdings nur von kurzer Dauer ist. Unsere Entscheidung, heute zurückzugehen, war richtig.
Da das wenige Holz unserer Hütte von vorgestern verbraucht war, müssen wir heute den Eingang der anderen Hütte freischaufeln, um dort auf etwas mehr Holz zu hoffen. Nach gut 20min ist es dann geschafft und der Eingang frei. Wir finden ausreichend Holz für die nächsten Stunden, allerdings nicht genug, um all unsere nassen Sachen, Schlafsäcke usw. trocknen zu können. Nachdem alles zum Trocknen aufgehängt ist, der Ofen brennt und wir den ersten Kakao in der Hand halten, beraten wir die weitere Lage. Nach gründlichem Studium von Karten und Hüttenbuch gibt es wohl doch eine Möglichkeit, in einem Tag eine Straße zu erreichen. Den Abstieg nach Westen ins Jostedalen. Eine gar nicht so lange Tour von ca. 20km mit vielleicht 500Hm Aufstieg und und einer Schlussabfahrt von 1200m auf 300m Höhe, die durchaus fahrbar erscheint. Laut Hüttenbuch haben Einheimische dies vor 2 Jahren auch im März getan, was heißt, das die Straße im Talörtchen Fåberg – welches nur aus einigen wenigen Häusern besteht – geräumt sein müsste. Alle anderen Routen nach Süden, Osten und Norden würden mindestens 2, wenn nicht 3 Tage in Anspruch nehmen. Somit steht der Plan für morgen. Aufstehen 5 Uhr, Abmarsch 8 Uhr, Zielort Fåberg und dort versuchen, ein Taxi aufzutreiben, um ins 40km entfernte Gaupne, unseren eigentlichen Zielort, zu kommen.
Nachdem wir uns etwas ausgeruht haben, wollen die anderen die kleine Nebenhütte freischaufeln, in der das Brennholz gelagert wird. Genau dies hatten Kay und ich schon im April 2012 getan, als wir hier genau die gleiche Situation hatten. Damals hatten wir anhand einer Zeichnung, die wir fanden, das Dach dieser Hütte tatsächlich 1m unter dem Schnee lokalisiert und konnten uns schließlich in 3m Tiefe bis zur Tür vorarbeiten, um an das Brennholz zu kommen.
Diesmal können wir das Dach selbst mit einem 1,50m langen Skistock nicht sondieren. Wir graben an verschiedenen Stellen und stoßen erst nach fast einer Stunde auf das Dach der Hütte, welches diesmal 3m unter der Oberfläche liegt! Wir müssten jetzt das 3m tiefe Loch vergrößern und von dort nochmal 2m tiefer graben, um an die Tür zu kommen. Einige Kubikmeter Schnee müssten bewegt werden. Ich kann schließlich die anderen überzeugen, das nicht zu tun und die Kräfte lieber für morgen zu sparen. Stattdessen wird ein alter Holzski zersägt und alles an leeren Kartons aus dem Proviantraum ofengerecht zerkleinert und verheizt, sodass wir bis zum Abend einen warmen Ofen haben und die meisten Sachen – außer den Schlafsäcken – tatsächlich trocken bekommen.
Tagesdaten:
Strecke 4,3km, Anstieg 180Hm, Abstieg 180Hm, Gesamtzeit 3:15h, Gehzeit 3:05h