Durch das Utladalen ins Stølsmaradalen

Leider hat es auch über Nacht nicht aufgehört zu regnen, so dass wir den Tag geruhsam angehen. Nach Frühstück, Packen und Saubermachen der Hütte wird es 11 Uhr, ehe wir uns zum Aufbruch entschließen. Der Abzweig unseres Weges vom markierten Weg zur Hütte Ingjerdbu ist nach nur 30min kurz hinter einer Brücke erreicht. Danach geht es auf einem schmalen und sehr schlammigen Pfad nach unten ins Utladalen. Nach und nach wird dieser steiler und nasser.

Durch den fortwährenden Regen haben sich viele kleine Rinnsale und Bäche gebildet, die jetzt teile mitten auf dem Pfad in die Tiefe rauschen. Einige Male hangeln wir von Birke zu Birke, um über die nassen, moosbewachsenen Platten und Steine nach unten zu kommen. Die Vegetation ist unglaublich üppig und erinnert mich sehr an den Bergurwald Neuseelands. Farne, Flechten und Gräser in rot und gelb, bemooste herbstliche Birken und immer wieder Heidelbeeren. Für die gut 300Hm Abstieg auf 3km Weglänge brauchen wir gute 2 Stunden! Immer wieder müssen wir Wasserfälle queren und direkt in den Sturzbächen laufen. Als wir endlich unten an der Utla ankommen und auf der gegenüberliegenden Talseite die Vormeli Hütte erkennen, glauben wir das Gröbste hinter uns zu haben.

Von wegen. Noch zweimal geht es vom Fluß auf unheimlich steilem Pfad wieder nach oben, um einige schluchtartige Abschnitte des Flußes zu umgehen. Dann endlich stehen wir vor der in der Karte verzeichneten Brücke, deren Zustand weit besser ist als befürchtet. Hinter der Hängebrücke, die die Utla an einem Felsvorsprung überspannt, machen wir um 13:30Uhr Mittagspause, bevor wir den nächsten Abschnitt in Angriff nehmen. Laut Karte geht es jetzt für vielleicht 2,5km auf einem unmarkierten Pfad immer am rechten Ufer der Utla entlang nach Süden. Beim Blick flußabwärts schwant mir, das diese Etappe wohl kein Spaziergang, sondern ein langer Tag werden wird. Schon nach wenigen 100m bestätigt sich dieser Eindruck. Immer wieder zwingen Sumpfseen, hüfthohe Farne und umgestürzte Bäume zu kräftezehrenden Umwegen. Eine wilde und beeindruckende Urlandschaft, wie ich sie so hier nicht erwartet hätte. Von den mehrere hundert Meter hohen Felswänden beider Talseiten donnern Wasserfälle herab und sorgen mit den tiefhängenden Wolken für eine ganz besondere Stimmung. Wieder brauchen wir gut 1½ Stunden für gerade einmal 2,5km, bis wir nach der mühsamen Querung eines mit Moos überwucherten, glitschigen Geröllhanges den Kirchsteig „Kyrkjestigen“ glauben erreicht zu haben. Der Pfad ist weder markiert noch sehr ausgeprägt und so dauert es eine ganze Weile, bis wir wirklich sicher sind, auf dem richtigen Weg zu sein. Wir verlassen das jetzt schluchtartige Utladalen über einen unglaublich steilen Pfad nach oben zur Kyrkja , einem 300Hm direkt über uns liegenden, imposanten Felsgebilde, welches den Beginn des Hochtales Midtmaradalen markiert. Den eh schon vagen Pfad verlieren wir immer wieder durch die vielen kleine Sturzbäche, die es unmöglich machen, diesem zu folgen. Mehrmals finden uns im wilden Gelände zwischen üppig überwucherten, glatten Felsen wieder. Ganz ohne Pfad ist es noch muhseliger, sich bei dieser Steilheit nach oben wuchten zu mussen. Mehrfach bleiben wir mit unseren grossen Rucksacken an niedrigen Birkenasten hangen und mussen wieder zuruck, um an anderer Stelle nach oben zu kommen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen so aberwitzig steilen Weg inmitten solcher Vegetation gegangen zu sein. Ein Wasserfall rauscht über glatte Felsplatten direkt neben unserer Aufstiegsroute herunter. Alles ist nass um uns herum, die Klamotten sind klamm und trotzdem macht es unglaublichen Spaß, sich in einem solchen Gelände, vollig allein und auf sich gestellt, zu bewegen.

Als wir das Steilstuck hinter uns haben, befinden wir uns wieder auf 750m Hohe. Fuer die wenigen hundert Meter Strecke hier hoch haben wir wiederum 1½ Stunden gebraucht. Von nun an geht es mit deutlich weniger Steilheit weiter hinein ins Hochtal Midtmaradalen. Wir erreichen die Baumgrenze und damit wieder offenes Gelaende, in dem wir schneller vorankommen. Dafur fangt es jetzt wieder zu regnen an, aber nass sind wir ja sowieso schon. Nach einer Schwelle auf 980m Hohe stehen wir vor dem Talfluss Midtmaradola und mussen an diesem noch etwas aufsteigen, bevor wir eine geeignete Stelle zum durchwaten finden. Auf der anderen Seite finden wir sofort einen deutlich ausgepragten Pfad ins Nachbartal Stolsmaradalen. Zunaechst wieder etwas flussab und dann ein letztes Mal 200Hm recht steil hinauf zum Bergruecken zwischen beiden Hochtalern. Wahrend des Anstieges macht sich nun auch die Anstrengung des Tages bemerkbar. Wir werden langsamer und hoffen, es noch vor Einbruch der Dunkelheit bis zur Hutte zu schaffen. Nach einer weiteren Stunde erreichen wir den hochsten Punkt des Rueckens beim Snorestodet auf 1220m, bevor es ahnlich steil und matschig wieder nach unten, ins Stolsmaradalen geht. Leider sehen wir auch von diesem, bei gutem Wetter sicher hervorragenden Aussichtspunkt, rein gar nichts von der wahrscheinlich spektakularsten Gebirgskette Norwegens, den Hurrungane. Welch ein Jammer. Immerhin haben wir nach unten etwas Sicht und koennen den makanten Wasserfall Vettifossen im unteren Utladalen ausmachen. Wir konzentrieren uns nun aber auf den Abstieg, der bei einsetzender Dammerung noch einmal volle Aufmerksamkeit erfordert.

Erst wenige Meter vor Erreichen der Hutte erkennen wir diese im letzten Licht des Tages. Wie erwartet ist niemand sonst in der kleinen Hutte mit nur 2 Schlafplaetzen (+2 in der Nebenhutte) sodass wir uns wenigstens ungestoert ausbreiten koennen. Die Hutte ist eine ehemaligen Almhutte und nicht mit einer normalen DNT Hutte vergleichbar. Sie besteht aus einem Vorraum von vielleicht 12qm mit allerlei Arbeitsgegenstanden und dient nebenbei auch als Kuche mit installiertem Gaskocher. Uber eine nur 1,50m hohe Tur geht es in den ahnlich grossen Wohnbereich mit Ofen und Esstisch, danach gelangt man uber eine weitere Zwergentur in den Schlafraum mit 2 Kojen. Obwohl die Hutte nicht mit dem hohen Standard der ’normalen‘ DNT hutten mithalten kann, bekommt man dieser Hutte einmal einen Eindruck davon, wie das Bewohner hier einmal gehaust haben. Nachdem die nassen Klamotten uber dem Ofen hangen und die Spaghetti auf dem Tisch stehen, kommt sogar noch eine gewisse Gemuetlichkeit auf. Konnen wir morgen vielleicht doch nochmal eine Tagestour in Richtung eines Hurrungane-Gipfels unternehmen?


Tagesdaten:

Strecke 16km, Aufstieg 1000m, Abstieg 1015m, Gesamtzeit 9h, Gehzeit 8h