Abstieg ins Bødalen

Gegen 3 Uhr bin ich zum Pinkeln draußen und merke, dass sich der nächste Wetterumschwung ankündigt. Ein eiskalter Wind aus Westen lässt Wolken aus den Tälern langsam nach oben steigen und hat einige Gipfel in der Umgebung schon wieder verhüllt. Auf dem Gletscher selbst ist es noch vollkommen klar und die Kombination aus Vollmond und dämmrigen Licht lässt eine eigenartig kalte, hochwinterliche Stimmung entstehen. Die Temperatur dürfte so bei -3°C liegen, aber der auffrischende Wind lässt es einen viel kälter erscheinen. Ich kann mich gerade noch aufraffen, schnell einige Bilder zu machen, bevor mich die klammen Finger wieder in den Schlafsack  treiben. Schon jetzt ahne ich, das unsere Chance, auf den Gipfel der Lodalskåpa zu kommen, vorbei ist. Ein kurzer Blick gegen 7 Uhr aus dem Zelt bestätigt meine Befürchtung. Die Schönwetterphase ist nach nur einem halben Tag schon vorbei. Der Wind bläst mittlerweile stark aus West. Die Wolken haben sich bereits wieder durchgesetzt und bieten das gewohnte Bild der letzten Tage. Trotzdem stehen wir auf, um möglichst schnell vom Gletscher und damit aus dem Wind zu  kommen. Eine böse Überraschung erlebe ich, als ich meine Skistiefel anziehen will. Sie sind beide voller Schnee, der durch die nicht ganz abgedichteten Schneelappen der Apsis geblasen wurde. Faulheit wird eben bestraft. Um 9:30 Uhr ziehen wir los.

Mit mäßigem Gefälle geht es über den unerwartet spaltenfreien Bohrsbreen problemlos hinab bis zur rießigen, sicher zwei Meter hohen Steinpyramide, die das Ende des Gletschers und damit den Beginn des Abstiegs über den Brattebakken (=steiler Hang) markiert. Direkt davor können wir ein durch den Wind zusammengeklapptes Zelt erkennen. Als wir da sind, verstehen wir auch, warum das Zelt nicht mehr steht. Der Wind bläst hier unten, scheinbar durch die steilen Wände der Lodalskåpa düsenartig beschleunigt, um einiges stärker als weiter oben auf dem Gletscher. Das Zelt selbst ist unbemannt und dient scheinbar nur als Materiallager. Aber für wen? Der Blick von hier ist (noch) großartig. Direkt östlich von uns schält sich gerade die steile und abweisende Nordwand der Lodalskåpa aus den Wolken, während  wir im Nordwesten ins tief eingeschnittene, grüne Bødalen schauen können. Schneeschuhe bzw. Ski schnallen wir jetzt ab und tauschen sie gegen die Steigeisen. Es stellt sich aber schon kurz nachdem wir die Steilflanke erreichen heraus, dass sie durch den weichen Schnee nicht wirklich nötig sind. Die Packsäcke nehmen wir jetzt vor den Bauch und rennen den Hang nach unten. Anstrengend, aber ein Mordsgaudi. Nebenbei drehe ich während des Abrennens ein kleines Filmchen von unserer Wackelei. Rechts vor uns taucht unvermittelt der 1211m hoch gelegene See Kåpevatnet auf, der durch seine isolierte Lage in einem Talkessel noch nahezu komplett vereist ist. In nur wenigen Minuten sind wir auf Höhe des Sees angekommen. Kurz darauf ist es dann endgültig mit dem Schnee vorbei. In einem Geröllfeld machen wir Pause und packen den Inhalt  der Packsäcke wieder in die Rucksäcke.

Erst jetzt merken wir, wie komfortabel das Ziehen schwerer Lasten gegenüber dem Tragen auf dem Buckel doch ist. Wir treffen auf die ersten Leute seit fast einer Woche. Es ist eine Gruppe, die einen Gletscherkurs macht und gerade wieder zu ihrem Materialdepot, dem eingefallenen Zelt am Fuße des Bohrsbreen, ist. Leider können wir ihnen keine guten Nachrichten vom derzeitigen Wetter und ihrem Zelt dort oben geben. Wir tauchen, nach einer weiteren Steilstufe von 100Hm in den lichten Wald des Bødalen ein und erreichen auf einem recht ordentlichen Pfad die Hütten von Bødalseter gegen 13:30 Uhr. Leider ist die gleichnamige Hütte eine herbe Enttäuschung und nicht mit einer DNT Hütte vergleichbar. Zudem scheinen alle der 10 Betten von einer weiteren Gruppe belegt zu sein. Der untere Bødalsbreen ist offensichtlich als Übungsgelände für Gletscherkurse sehr beliebt. So entscheiden wir uns nach einer Mittagspause in der Hütte, den weiteren Abstieg über die hier beginnende Straße hinunter zum Lovatnet in Angriff zu nehmen. Wir haben Glück: ein älteres holländisches Pärchen hält schon nach einigen Minuten auf der steilen Straße an und nimmt uns den ganzen Weg bis Loen mit. Sie liefern uns direkt am örtlichen Campingplatz ab, wo wir uns eine Hütte mieten und zu unserer ersten Dusche und, fast noch wichtiger,  auch zu unserem ersten Bier seit Aufbruch kommen.


Tagesdaten:

Strecke 7km, Aufstieg 95m, Abstieg 1280m, Gesamtzeit 4:35h, Gehzeit 3h