Kann man im Sommer den Jostedalsbreen begehen? Auf diese Frage war zunächst keine zufriedenstellende Antwort zu bekommen. Die Norweger unternehmen die Längsüberquerung des größten kontinentaleuropäischen Gletschers nahezu ausschließlich im Frühjahr (April/Mai) und dann natürlich mit Fjellski. Traditionell wird Jostedalsbreen på langs von Nord nach Süd durchgeführt, meist mit dem Startpunkt im Bødalen bzw. Erdalen und dem Endpunkt Flabrehytta in der Nähe von Fjærland. Wie die Schneeverhältnisse jedoch im Sommer sein würden, war im Vorfeld nicht in Erfahrung zu bringen. Selbst ein ortsansässiger Bergführer konnte mir darauf keine befriedigende Antwort geben. Sollten nun Ski, Schneeschuhe oder lediglich Steigeisen mitgenommen werden? Mit Alexander Michel aus Berlin fand ich schnell einen begeisterten Mitstreiter, bei dem die geplante Tour zeitlich paßte. Während Alexander auf seine bewährten Schneeschuhe setzte, bastelte ich mir aus einem günstig erstandenen, 99 cm langem Kurzski (GPO B.I.S.S.) mit passenden Steigfellen und einer Salomon BC Bindung einen Ski, der kompatibel zu meinen Skistiefeln gleicher Norm ist. Mit diesem glaubte ich einen guten Kompromiß zwischen einem normalen Fjellski und Schneeschuhen gefunden zu haben. Weiterhin nahmen wir die komplette Hochtourenausrüstung mit, um für alle Eventualitäten auf dem uns unbekannten Gletscher gewappnet zu sein. Eine Pulka erschien uns aufgrund der langen Zustiege zum Eis als nicht praktikabel. Trotzdem wollten wir zumindest einen Teil des Rucksackinhaltes in wasserdichte 60l Ortliebsäcke verlagern, welche dann per Reepschnur über den Gletscher gezogen werden.

Da der Zustieg zum Gletscher von der Flabrehytta im Süden um einiges kürzer als alle Alternativen weiter im Norden sind, wählten wir diesen als Startpunkt. So wollten wir die Plackerei mit den vollgepackten, schweren Rucksäcken auf das Notwendigste begrenzen und möglichst schnell unsere „Notpulka“ einsetzen. Von Fjærland bis zur Hütte sind es zwar nur 8 km, allerdings mit einem Schlußanstieg von fast 1000 Höhenmetern auf den letzten 3 km! Unsere geplante Route sollte vorbei an Supphellenippa, der Engstelle Bings Gryte und weiter an den Nunataks Ramnane und Kvittekoll zum höchsten Punkt des Gletschers, dem Høgste Brekulen (1957m), führen. Von dort sollte es in Richtung Kjenndalskruna und weiter zu den beiden höchsten Gipfeln des gesamten Gebietes, der Brenibba (2017m) und der Lodalskåpa (2082m) gehen. Je nach Verhältnissen, Wetter und verbleibender Zeit wollten wir zumindest einen der Gipfel besteigen und dann über den Bohrsbreen ins Bødalen absteigen. Sollte alles optimal laufen, wäre auch ein Abstieg ins Erdalen denkbar, wobei man dazu den schmalen Eisstrom der Småttene  hinabsteigen müßte, was aufgrund des zerklüfteten Gletscherbruches im Sommer irgendwo zwischen „sehr heikel“ und „unpassierbar“ eingestuft wird. Um nicht aufgrund von schlechten Bedingungen und/oder Wetter in Zeitnot zu geraten, planten wir von vornherein eine gute Woche für die Überschreitung ein, was sich im nachhinein als durchaus realistisch herausstellen sollte…